T. J. Meier: Widerstandsvorbereitungen für den Besetzungsfall

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Titel
Widerstandsvorbereitungen für den Besetzungsfall. Die Schweiz im Kalten Krieg


Autor(en)
Meier, Titus J.
Erschienen
Zürich 2018: NZZ Libro
Anzahl Seiten
592 S.
Preis
54 CHF
URL
von
Daniel Marc Segesser, Historisches Institut, Universität Bern

Die Geschichte der Schweiz im Kalten Krieg hat seit einiger Zeit Konjunktur. Das haben Silvia Berger Ziauddin, David Eugster, Sibylle Marti, Martin Meier, Yves Meier und Nadine Ritzer schon 2017 in der Schweizerischen Zeitschrift für Geschichte festgestellt.1

Daran hat sich seither nicht viel geändert, wie einerseits die Studien aus der Feder der eben genannten Autorinnen und Autoren gezeigt haben, andererseits aber auch die Kontroversen zu weiteren Büchern, die in den letzten Jahren erschienen sind. Eine davon betrifft die an dieser Stelle besprochene Untersuchung von Titus J. Meier zu Widerstandvorbereitungen im Besetzungsfall. Politische Frontstellungen – der Autor ist Grossrat der FDP und Milizoffizier, seine Kritiker stammen vielfach aus dem linken und armeekritischen Lager – erschweren dabei teilweise eine nüchterne Bewertung. Dies soll die vorliegende Rezension jedoch so wenig als möglich beeinflussen.

Es liegt in der Natur der Sache, dass die Untersuchung von geheimen und geheim gehaltenen Tätigkeiten keine einfache Angelegenheit ist. Geheim operierende Organisationen wie diejenigen, welche Widerstandsaktionen in einer (teil‐)besetzten Schweiz vorbereiteten, waren notwendigerweise abseits einer interessierten Öffentlichkeit tätig. Sobald ihre Aktivitäten öffentlich wurden, war es wenig erstaunlich, dass sie den Argwohn derjenigen weckten, die entweder nicht einbezogen worden waren oder ein mögliches Opfer der Widerständler hätten werden können. Wie schon Christopher Clark in seiner Untersuchung der Aktivitäten der «Schwarzen Hand» vor 1914 feststellen musste, ist es zudem ausserordentlich schwierig, eine quellenbasierte Untersuchung vorzulegen, wenn einzelne oder sogar die Mehrzahl der Akteure in ihrem Tun dermassen auf Geheimhaltung aus waren, dass verwendbares Quellenmaterial kaum zu finden ist.2

Auch Meier stand vor dem Problem, dass viele der für ihn interessanten Quellen nicht oder erst sehr spät zugänglich waren. Im Unterschied zu Clark, der nicht mehr die Möglichkeit hatte, sich der Methode der oral history zu bedienen, konnte Meier für seine Untersuchung eine ganze Reihe von Persönlichkeiten aus dem Umfeld des sogenannten «Projekts 26», welches primär als «P-26» bekannt ist, für seine Analyse befragen. Dass er diese Interviews nicht sorgfältiger und kritischer mit dem heute zur Verfügung stehenden Instrumentarium der oral history ausgewertet hat, ist bedauerlich, zumal Meier selber feststellt, dass der Diskurs im Nachgang zur Parlamentarischen Untersuchungskommission EMD3 von «verbitterten ehemaligen UNA-Offizieren»4 und «persönlich gekränkten Journalisten» massgeblich mitbestimmt worden sei (S. 442). Hier hätte es definitiv Sinn gemacht, wenn der Autor einen Ratschlag befolgt hätte, den die erste akademische Lehrerin des Rezensenten, Judit Garamvölgyi, ihm schon während dessen Studiums mitgegeben hat. Meier hätte demnach darauf achten sollen, diejenigen Argumente, die ihm nicht sofort einleuchten, doppelt so gut anzuschauen, wie diejenigen, die ihm sofort einleuchten. Stattdessen scheint der Autor – wie sich primär in seinem letzten Kapitel zeigt – vor allem darauf aus zu sein, eine (vermeintliche) Skandalisierung selber zu skandalisieren.

Grundsätzlich legt Meier eine wichtige Studie vor, die sich erstmals vertieft mit einem Thema beschäftigt, das wie gesagt quellenmässig schwierig zu erfassen ist. Das gilt insbesondere für die Anfänge der Widerstandsvorbereitungen für den Besetzungsfall in der Schweiz während des Kalten Krieges. Zu Recht knüpft Meier dabei an die Erfahrungen der Résistance und Partisanen während des Zweiten Weltkrieges an. Diese setzten in der Schweiz gerade im Zusammenhang mit der Neuausformulierung der Genfer Konventionen in den Jahren 1946 bis 1949 eine wichtige Debatte in Gang, die grundsätzlicher Natur war. Es ging nämlich um die Frage, inwiefern ein (bewaffneter) Widerstand gegen eine Besatzungsmacht so ausgestaltet werden konnte, dass nicht die eigene Zivilbevölkerung zum primären Ziel von Repressionsmassnahmen der Besatzungsmacht werden würde. Doch leider fehlt in Meiers Darstellung eine Analyse der Rolle der direkt betroffenen Zivilbevölkerung. Es kann natürlich sein, dass die Verantwortlichen von Territorial- und Nachrichtendienst, die nacheinander für die Widerstandsvorbereitungen zuständig waren, das Wasser, in welchem der Widerständler – frei nach Mao – wie ein Fisch schwimmen sollte, nicht in ihre Überlegungen einbezogen. Aber dann wäre es sinnvoll gewesen, wenn der Autor diese Lücke thematisiert hätte, statt seine akribisch untersuchten Akteure in einem seltsam luftleeren Raum operieren zu lassen. Letzteres mag eine überzeugende Rekonstruktion des Handelns auf operativer Ebene abbilden, blendet aber die politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen, welche die Aktivitäten der untersuchten Personen wesentlich mitbestimmten, zu sehr aus. Der Autor wird damit auch dem von ihm selbst gesetzten theoretisch-methodischen Rahmen – dem Konzept der «Versicherheitlichung» (S. 25–29) – nicht wirklich gerecht.

Meier macht zwar einiges aus den wenigen Quellen zu den frühen Widerstandsbemühungen von Männern wie Hans Burger, Heinrich Amstutz oder Albert Bachmann. Ausführungen zum Umfeld, in welchem diese Akteure tätig waren, hätten aber mit Sicherheit weitere wesentliche Erkenntnisse ermöglicht. Dazu hätte Meier dann aber wohl das allein 180 Seiten umfassende Kapitel zum P-26 straffer gestalten müssen. Hier geht der Autor zu sehr ins Detail, vielleicht auch, weil er den Akteuren eine Stimme geben will, die in deren Augen bisher zu wenig gehört wurde. Das wäre durchaus legitim. Allerdings entsteht so ein massives Ungleichgewicht zwischen früheren Bemühungen und dem P-26 der Jahre 1979 bis 1990.

Gerade die letzten Kapitel seiner Studie arten in einer regelrechten Polemik aus. Diese geht soweit, dass der Autor der politischen Linken vorwirft, angesichts des Zerfalls des sowjetisch geprägten Staatssozialismus eine planmässige Skandalisierung von legitimen, wenn auch, wie Meier selber zugibt, nicht ausreichend gesetzlich abgestützten Widerstandsvorbereitungen gesucht zu haben, um sich als Verteidigerin der Freiheit zu inszenieren. Hier schiesst der Autor eindeutig über das Ziel hinaus, was dazu führt, dass die durchaus wertvolle Thematisierung der Widerstandsvorbereitungen in der Schweiz während des Kalten Krieges an historiographischer Legitimation verliert. Mit seinem letzten, zu polemischen Kapitel hat Meier seiner Untersuchung wohl einen Bärendienst erweisen. Gleichzeitig hat er aber auch das Tor geöffnet, um in neuen Studien sowohl über die Vorläuferbemühungen des P-26 wie zur Organisation selber eine stärker sozialund kulturhistorische Perspektive einzunehmen. Besonders der Blick auf das bereits erwähnte «Wasser», in welchem die «Fische des Widerstandes» in einer potentiell (teil‐) besetzten Schweiz hätten schwimmen sollen, verspricht wichtige neue Erkenntnisse.

Anmerkungen
1 Silvia Berger Ziauddin et al., Geschichte ohne Forschung? Anmerkungen zum Verhältnis von akademischer und populärer Geschichtsschreibung, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 67/2 (2017), S. 230–237.
2 Christopher Clark, The Sleepwalkers. How Europe Went to War in 1914, London 2012, S. XXIII, 39–41 und 47–56.
3 Mit dem Bundesbeschluss vom 12. März 1990 setzte das Parlament eine Parlamentarische Untersuchungskommission zur besonderen Klärung von Vorkommnissen von grosser Tragweite im Eidgenössischen Militärdepartement (PUK EMD) ein. Der Bericht ist online verfügbar unter: https:// www.parlament.ch/centers/documents/de/ed-berichte-puk-emd.pdf (7. 9.2020).
4 Die Abkürzung «UNA» steht für Unterabteilung / Untergruppe Nachrichtendienst und Abwehr. Diese trug bis 1983 die Verantwortung für die geheimen Widerstandsvorbereitungen.

Zitierweise:
Segesser, Daniel Marc: Rezension zu: Meier, Titus J.: Widerstandvorbereitungen für den Besetzungsfall. Die Schweiz im Kalten Krieg, Zürich 2018. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (1), 2021, S. 218-220. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00080>.

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